BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
– 2 BvR 1345/03 –
In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde gegen Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung vom 6. August 2002 (BGBl I S. 3018) hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts (…) gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG (…) am 22. August 2006 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 5. hat sich durch ihren Tod erledigt. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. (…)
Soweit zulässig, ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet.
1. Die Beschwerdeführer sind durch die Bestimmung des § 100 i Abs. 1 StPO nicht in ihrem Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG verletzt. Die Erhebung der Daten, durch die aufgrund dieser Vorschrift zugegriffen werden darf, fällt nicht in den Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG.
a) Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gewährleisten die freie Entfaltung der Persönlichkeit durch einen privaten, vor der Öffentlichkeit verborgenen Austausch von Nachrichten, Gedanken und Meinungen als Informationen (…).
aa) Art. 10 GG schützt die private Fernkommunikation. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis gewährleisten die Vertraulichkeit der individuellen Kommunikation, wenn diese wegen der räumlichen Distanz zwischen den Beteiligten auf eine Übermittlung durch andere angewiesen ist und deshalb in besonderer Weise einen Zugriff Dritter – einschließlich staatlicher Stellen – ermöglicht. Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis sind wesentlicher Bestandteil des Schutzes der Privatsphäre; sie schützen vor ungewollter Informationserhebung und gewährleisten eine Privatheit auf Distanz (…). Das Fernmeldegeheimnis schützt die unkörperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mit Hilfe des Telekommunikationsverkehrs (…). Die Beteiligten sollen weitestgehend so gestellt werden wie sie bei einer Kommunikation unter Anwesenden stünden. Das Grundrecht ist entwicklungsoffen und umfasst nicht nur die bei Entstehung des Gesetzes bekannten Arten der Nachrichtenübertragung, sondern auch neuartige Übertragungstechniken (…). Die Reichweite des Grundrechts beschränkt sich daher nicht auf die früher von der Deutschen Bundespost angebotenen Fernmeldedienste, sondern erstreckt sich auf jede Übermittlung von Informationen mit Hilfe der verfügbaren Telekommunikationstechniken. Auf die konkrete Übermittlungsart (Kabel oder Funk, analoge oder digitale Vermittlung) und Ausdrucksform (Sprache, Bilder, Töne, Zeichen oder sonstige Daten) kommt es nicht an (…). Der Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses umfasst sowohl den Inhalt der Telekommunikation als auch die näheren Umstände des Fernmeldevorgangs, allerdings nur, soweit diese überhaupt auf Kommunikationsinhalte beziehbar sind (…).
bb) Das Fernmeldegeheimnis schützt in erster Linie die Vertraulichkeit der ausgetauschten Informationen und damit den Kommunikationsinhalt gegen unbefugte Kenntniserlangung durch Dritte (…). Als Folge der Digitalisierung hinterlässt vor allem jede Nutzung der Telekommunikation personenbezogene Spuren, die gespeichert und ausgewertet werden können. Auch der Zugriff auf diese Daten fällt in den Schutzbereich des Art. 10 GG; das Grundrecht schützt auch die Vertraulichkeit der näheren Umstände des Kommunikationsvorgangs (…). Dazu gehört insbesondere, ob, wann und wie oft zwischen welchen Personen oder Endeinrichtungen Telekommunikationsverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist (…). Auch insoweit kann der Staat grundsätzlich keine Kenntnis beanspruchen. Die Nutzung des Kommunikationsmediums soll in allem vertraulich sein (…). Häufigkeit, Dauer und Zeitpunkt von Kommunikationsverbindungen geben Hinweise auf Art und Intensität von Beziehungen und ermöglichen auf den Inhalt bezogene Schlussfolgerungen (…).
Post und Telekommunikation bieten die Voraussetzungen für die private Kommunikation zwischen Personen, die nicht am selben Ort sind, und eröffnen so eine neue Dimension der Privatsphäre (…). Damit verbunden ist ein Verlust an Privatheit; denn die Kommunizierenden müssen sich auf die technischen Besonderheiten eines Kommunikationsmediums einlassen und sich dem eingeschalteten Kommunikationsmittler anvertrauen. Inhalt und Umstände der Nachrichtenübermittlung sind dadurch dem erleichterten Zugriff Dritter ausgesetzt. Die Beteiligten, die ihre Kommunikation mit Hilfe von technischen Hilfsmitteln über Distanz unter Nutzung fremder Kommunikationsverbindungswege ausüben, haben nicht die Möglichkeit, die Vertraulichkeit der Kommunikation sicherzustellen.
Art. 10 Abs. 1 GG soll einen Ausgleich für die technisch bedingte Einbuße an Privatheit schaffen und will den Gefahren begegnen, die sich aus dem Übermittlungsvorgang einschließlich der Einschaltung eines Dritten ergeben (…). Das Fernmeldegeheimnis knüpft an das Kommunikationsmedium an (…).
b) Die Datenerhebung nach § 100 i StPO greift nicht in den Schutzbereich der Telekommunikationsfreiheit ein. Sie steht nicht im Zusammenhang mit einem Kommunikationsvorgang und betrifft auch keinen Kommunikationsinhalt im Sinne des Art. 10 Abs. 1 GG.
aa) Im Falle einer Maßnahme nach § 100 i Abs. 1 Nr. 2 StPO sind den Strafverfolgungsbehörden die Betriebsdaten bereits bekannt. Es wird lediglich der genaue Standort des Mobiltelefons bestimmt.
bb) Die Feststellung einer Geräte- oder Kartennummer im Sinne des § 100 i Abs. 1 Nr. 1 StPO eines im Bereich einer simulierten Funkzelle befindlichen Mobiltelefons durch den Einsatz eines „IMSI-Catchers“ ist unabhängig von einem tatsächlich stattfindenden oder zumindest versuchten Kommunikationsvorgang zwischen Menschen (…). Beim Einsatz des „IMSI-Catchers“ „kommunizieren“ ausschließlich technische Geräte miteinander. Es fehlt an einem menschlich veranlassten Informationsaustausch, der sich auf Kommunikationsinhalte bezieht. Das Aussenden der Daten erfolgt unabhängig von einem konkreten Kommunikationsvorgang oder dem Aufbau einer Kommunikationsverbindung, die einen personalen Bezug hat; der Datenaustausch ist ausschließlich zur Sicherung der Betriebsbereitschaft nötig, trägt aber keine individuellen und kommunikativen Züge. Die erfassten Daten fallen nicht anlässlich eines Kommunikationsvorgangs an, sondern im Bereitschaftszustand eines Mobiltelefons, der erst technische Voraussetzung eines Kommunikationsvorgangs ist. Die bloße technische Eignung eines Geräts, als Kommunikationsmittel zu dienen, sowie die von dem Gerät ausgehenden technischen Signale zur Gewährleistung der Kommunikationsbereitschaft stellen noch keine Kommunikation dar. Sie ermöglichen – anders als Kommunikationsumstände – keinen Rückschluss auf Kommunikationsbeziehungen und –inhalte, sondern lediglich über die Position eines Endgeräts auf den Standort einer Person. Erst die tatsächliche Nutzung zum Austausch von Informationen und Meinungen qualifiziert die mittels Telekommunikationseinrichtungen übertragenen Daten als Kommunikationsinhalte und –umstände, die den Schutz des Art. 10 Abs. 1 GG genießen (…) und auf die nur unter den engeren Voraussetzungen der §§ 100 a, 100 b, 100 g und 100 h StPO zugegriffen werden darf. Die technischen Signale, die die Kommunikationsbereitschaft gewährleisten, stellen dagegen lediglich Spuren derselben dar (…).
Für diese Ansicht spricht zudem, dass nach § 88 Abs. 1 TKG – ungeachtet der jeweils unterschiedlichen Regelungsbereiche von Telekommunikationsgesetz, Strafprozessordnung und Grundgesetz – der Inhalt der Telekommunikation und ihre näheren Umstände dem Fernmeldegeheimnis unterliegen, insbesondere, ob „jemand“ an einem Telekommunikationsvorgang beteiligt ist, wobei auch erfolglose Verbindungsversuche erfasst werden. Auch diese Formulierung bringt den personalen Bezug des Fernmeldegeheimnisses und des Schutzbereichs der Telekommunikationsfreiheit zum Ausdruck.
cc) Die Positionsmeldungen eines Mobiltelefons unter den Schutz des Art. 10 Abs. 1 GG fassende Gegenansicht (…) lässt außer Acht, dass eine technische Kommunikation zwischen Geräten nicht das spezifische Gefahrenpotential aufweist, vor dem Art. 10 Abs. 1 GG Schutz gewährleistet. Art. 10 Abs. 1 GG folgt nicht dem rein technischen Telekommunikationsbegriff des Telekommunikationsgesetzes (vgl. § 3 Nr. 22 TKG), sondern knüpft personal an den Grundrechtsträger und dessen Schutzbedürftigkeit aufgrund der Einschaltung Dritter in den Kommunikationsvorgang an. Die Erfassung der IMSI und der IMEI mag somit zwar die Bereitschaft zur Nutzung eines Mobiltelefons beeinträchtigen, realisiert aber nicht die spezifischen Gefahren für die Privatheit der Kommunikation, die in der Nutzung des Telekommunikationsmediums begründet liegen.
Dass der Besitzer eines Mobiltelefons gewärtigen muss, schon seine Bereitschaft zu einem Kommunikationsvorgang könnte dazu benutzt werden, sich in Kenntnis der Geräte- und Kartennummer seines Mobiltelefons, seiner Identität sowie seines ungefähren Aufenthaltsorts zu setzen, betrifft zwar gegebenenfalls sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung und seine allgemeine Handlungsfreiheit, schränkt aber nicht die Bedingungen freier Telekommunikation ein.
Zwar verfügt der potentielle Kommunikationsteilnehmer nicht über die gleiche Sicherheit, die bestünde, wenn er sich bei der beabsichtigten Kommunikation keines technischen Mediums bediente. Die Privatheit der Kommunikation in Bezug auf ihre konkreten Umstände ist aber nicht bereits durch die Ausforschung der Kommunikationsbereitschaft gefährdet. Neben dem eigentlichen Kommunikationsvorgang verdient die vorgelagerte Kommunikationsanbahnung nicht den gleichen Schutz. Ein „Für-möglich-halten“ von Kommunikation stellt noch keine solche dar (…).
dd) Beim Einsatz des „IMSI-Catchers“ werden die IMSI- und IMEI-Daten zudem nicht innerhalb des Herrschaftsbereichs eines Telekommunikationsunternehmens, sondern ohne dessen Mitwirkung durch die Strafverfolgungsbehörden selbst und unmittelbar erhoben. Mit dem Einsatz des „IMSI-Catchers“ schaffen diese eine netzexterne, gleichsam virtuelle Funkzelle, die die Erhebung der Daten ermöglicht. Nach dem Grundverständnis des Art. 10 Abs. 1 GG, der insbesondere die erhöhte Verletzlichkeit und Überwachungsanfälligkeit des Übertragungsvorgangs durch die Einschaltung Dritter schützt, unterfallen die hierbei erhobenen Daten nicht dem Telekommunikationsgeheimnis.
c) Ist der Schutzbereich des Art. 10 GG nicht eröffnet, so liegt auch kein Verstoß gegen das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG vor. Zwar hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung vom 27. Juli 2005 (…) ausgeführt, der Bundesgesetzgeber habe die Überwachung der Telekommunikation zu Zwecken der Strafverfolgung in den §§ 100 a, 100 b, 100 g, 100 h und 100 i StPO nach Umfang, Zuständigkeit und Zweck sowie hinsichtlich der für die jeweilige Maßnahme erforderlichen Voraussetzungen umfassend geregelt. Aus dem Zusammenhang der Ausführungen ergibt sich jedoch, dass der Senat die besonderen Gegebenheiten der § 100 i StPO zugrunde liegenden Maßnahmen nicht näher behandelt hat, zumal die Maßnahme nach § 100 i StPO unter anderem der Vorbereitung einer Telekommunikationsüberwachung dient und daher einfachgesetzlich den entsprechenden Regelungen zugerechnet werden kann. Das bedeutet aber nicht, dass die Maßnahme selbst dem Schutzbereich des Art. 10 Abs. 1 GG unterfällt.
2. Im Übrigen haben die Beschwerdeführer weder ausdrücklich vorgetragen noch ist sonst ersichtlich, dass § 100 i Abs. 1 StPO, soweit Daten unbeteiligter Dritter erhoben werden, ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verletzt. Der Eingriff in dieses Recht durch die Erhebung und die kurzzeitige Speicherung der IMSI- und IMEI-Kennung der Mobiltelefone der Beschwerdeführer als unbeteiligte Dritte bei Einsatz eines „IMSI-Catchers“ beruht mit § 100 i StPO auf einer wirksam zu Stande gekommenen gesetzlichen Grundlage und ist nicht unverhältnismäßig.
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a) Die freie Entfaltung der Persönlichkeit setzt unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus. Dieser Schutz ist von dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verbürgt. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (…). Das Grundrecht dient dabei auch dem Schutz vor einem Einschüchterungseffekt, der entstehen und zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung anderer Grundrechte führen kann, wenn für den Einzelnen nicht mehr erkennbar ist, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn weiß. Die Freiheit des Einzelnen, aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu entscheiden, kann dadurch wesentlich gehemmt werden. Ein von der Grundrechtsausübung abschreckender Effekt fremden Geheimwissens muss nicht nur im Interesse der betroffenen Einzelnen vermieden werden. Auch das Gemeinwohl wird hierdurch beeinträchtigt, weil Selbstbestimmung eine elementare Funktionsbedingung eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger gegründeten freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens ist (…).
aa) Fernmeldegeheimnis und Recht auf informationelle Selbstbestimmung stehen, soweit es um den Schutz der technischen Kommunikationsdaten geht, in einem Ergänzungsverhältnis. In seinem Anwendungsbereich enthält Art. 10 GG bezogen auf den Fernmeldeverkehr eine spezielle Garantie, die die allgemeine Gewährleistung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung verdrängt (…). Soweit der Eingriff in das Fernmeldegeheimnis die Erlangung personenbezogener Daten betrifft, sind dabei die Maßgaben, die das Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG entwickelt hat (…), grundsätzlich auch auf die speziellere Garantie in Art. 10 Abs. 1 GG zu übertragen (…).
bb) Greift Art. 10 GG nicht ein, werden die technischen Kommunikationsdaten durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützt. Damit wird der besonderen Schutzwürdigkeit der Daten im Zusammenhang mit Telekommunikation Rechnung getragen.
cc) Bei IMSI und IMEI eines Mobiltelefons handelt es sich um personenbeziehbare Daten, die – gegebenenfalls mittels eines Auskunftsersuchens an den Telekommunikationsanbieter – einen Schluss darauf zulassen, welche Person sich im Bereich der virtuellen Funkzelle aufhält. Durch die Maßnahme nach § 100 i Abs. 1 Nr. 2 StPO kann der genaue Standort einer Person bestimmt werden.
b) Beschränkungen des Art. 2 Abs. 1 GG bedürfen einer gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht (…). Das Zustandekommen des § 100 i Abs. 1 StPO entspricht den verfassungsrechtlichen Vorgaben (aa); auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten hält die Norm hinsichtlich des Betroffenseins unbeteiligter Dritter verfassungsrechtlicher Prüfung stand (bb).
aa) Die Vorschrift ist in einem Gesetzgebungsverfahren zu Stande gekommen, das nicht an einem durchgreifenden Fehler leidet. Weil die Notwendigkeit und die nähere Ausgestaltung einer gesetzlichen Regelung zum Einsatz des „IMSI-Catchers“ bereits Gegenstand eines Änderungsvorschlags des Bundesrats zum Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Begleitgesetz zum Telekommunikationsgesetz vom 23. Mai 1997 war, hatten Parlament und Öffentlichkeit bis zum Gesetzgebungsverfahren im Jahre 2002 ausreichend Gelegenheit, sich mit einer solchen Regelung auseinanderzusetzen. Im Hinblick auf das Zustandekommen des Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung vom 6. August 2002 entspricht es parlamentarischer Übung, Änderungen und Ergänzungen nach der ersten Lesung eines Gesetzentwurfs in den Ausschussberatungen anzubringen. Auch wenn eine Behandlung des vollständigen Gesetzentwurfs bereits in der ersten Lesung dem Gebot der Öffentlichkeit und Transparenz des Gesetzgebungsvorgangs in höherem Maße gerecht geworden wäre, kommt es für das Wirksamwerden des Gesetzes zunächst nur auf den nach der parlamentarischen Beratung nach Art. 77 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 42 Abs. 2 Satz 1 GG gefassten Gesetzesbeschluss des Bundestags an. In der Gestaltung des dahin führenden Verfahrens ist der Bundestag im Rahmen seiner Geschäftsordnungsautonomie frei (…).
bb) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die jeweilige Maßnahme einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck verfolgt und zu dessen Erreichung geeignet, erforderlich und im engeren Sinne verhältnismäßig ist; der Eingriff darf den Betroffenen nicht übermäßig belasten, muss diesem also zumutbar sein (…).
(1) Wirksame Strafverfolgung ist ein legitimer Zweck zur Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Die Sicherung des Rechtsfriedens durch Strafrecht ist seit jeher eine wichtige Aufgabe staatlicher Gewalt. Die Aufklärung von Straftaten, die Ermittlung des Täters, die Feststellung seiner Schuld und seine Bestrafung wie auch der Freispruch des Unschuldigen sind die wesentlichen Aufgaben der Strafrechtspflege, die zum Schutz der Bürger den staatlichen Strafanspruch in einem justizförmigen und auf die Ermittlung der Wahrheit ausgerichteten Verfahren in gleichförmiger Weise durchsetzen soll. Die Schaffung von Strafnormen und deren Anwendung in einem rechtsstaatlichen Verfahren sind Verfassungsaufgaben (…). Der Verhinderung und Aufklärung von Straftaten kommt daher nach dem Grundgesetz eine hohe Bedeutung zu (…).
(2) Die Möglichkeit, zur Vorbereitung einer Maßnahme nach § 100 a StPO die Geräte- und Kartennummer oder zur vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 2 StPO oder Ergreifung des Täters aufgrund eines Haftbefehls oder Unterbringungsbefehls den Standort eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgeräts zu ermitteln, ist zur Erreichung dieses Ziels nicht nur geeignet und erforderlich, sondern auch angemessen.
Der Einsatz des „IMSI-Catchers“ ist zum Zwecke der Aufklärung und Verfolgung von Straftaten geeignet. Er ermöglicht die Feststellung bislang unbekannter Geräte- und SIM-Kartennummern und erlaubt damit eine Zuordnung der Rufnummer zu dem von einem Tatverdächtigen benutzten Mobiltelefon als notwendige Voraussetzung für die Anordnung und Durchführung einer Telekommunikationsüberwachung nach § 100 a StPO. Berichte aus der kriminalistischen Praxis belegen die Geeignetheit und Erforderlichkeit des kriminaltechnischen Hilfsmittels „IMSI-Catcher“ (…). Dies wird auch durch die im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren abgegebenen Stellungnahmen des Generalbundesanwalts und des Bundeskriminalamts bestätigt, die die Bedeutung dieser Ermittlungsmaßnahme hervorheben. Technische und faktische Schwierigkeiten, die etwa durch den Wechsel von Telefonen und SIM-Karten oder die Verwendung ausländischer SIM-Karten durch die Beschuldigten sowie durch den sachlichen und personellen Aufwand der Maßnahme verursacht sein können, stellen die grundsätzliche Geeignetheit und die Erforderlichkeit des Mittels zur Erreichung des angestrebten Zwecks nicht in Frage.
Die Beschwerdeführer werden durch den Einsatz des „IMSI-Catchers“ auch nicht übermäßig in ihrem Recht auf informationelle Selbstbestimmung betroffen. Dabei ist einerseits zu berücksichtigen, dass auch die technischen Kommunikationsdaten einen schutzwürdigen Aussagegehalt haben, weil sie – wenn auch nur nach vorausgegangener Identifizierung der Person über eine Zuordnung der IMSI- oder IMEI-Nummer – einen Schluss darauf zulassen, welche Person sich im Bereich der virtuellen Funkzelle aufhält und ein betriebsbereites Mobiltelefon mit sich führt. Andererseits ist in Rechnung zu stellen, dass die vermehrte Nutzung elektronischer oder digitaler Kommunikationsmittel und deren Vordringen in nahezu alle Lebensbereiche die Strafverfolgung erschwert hat. Moderne Kommunikationstechniken werden bei der Begehung unterschiedlichster Straftaten zunehmend eingesetzt und tragen dort zur Effektivierung krimineller Handlungen bei (…). Das Schritthalten der Strafverfolgungsbehörden mit dem technischen Fortschritt kann daher nicht lediglich als sinnvolle Abrundung des Arsenals kriminalistischer Ermittlungsmethoden begriffen werden, die weiterhin wirkungsvolle herkömmliche Ermittlungsmaßnahmen ergänzt, sondern ist vor dem Hintergrund der Verlagerung herkömmlicher Kommunikationsformen hin zum elektronischen Nachrichtenverkehr einschließlich der anschließenden digitalen Verarbeitung und Speicherung zu sehen (…).
Bei der Durchführung von Maßnahmen nach § 100 i StPO haben die Ermittlungsbehörden darauf Bedacht zu nehmen, dass die Grundrechtspositionen der unbeteiligten Dritten nicht über das unbedingt notwendige Maß hinaus berührt werden. Anhaltspunkte für eine Missachtung dieses Gebots haben sich aus den Stellungnahmen der Äußerungsberechtigten im Verfassungsbeschwerdeverfahren nicht ergeben. Die technischen Kommunikationsdaten werden automatisch und anonym abgeglichen und unverzüglich gelöscht. Unbeteiligte Dritte werden nach Auskunft des Bundeskriminalamts nicht identifiziert. Die Speicherung ihrer Daten erfolgt maximal für die Dauer des Messeinsatzes. Danach werden die Daten von der Festplatte des Messsystems ohne weitere Bearbeitung und Prüfung unverzüglich und unwiderruflich gelöscht.
(3) Angesichts der geringen Eingriffsintensität ist es nicht unverhältnismäßig, auf die Benachrichtigung mitbetroffener Dritter zu verzichten (…). Die IMSI- und die IMEI-Nummer können erst mit Hilfe der Netzbetreiber einer Rufnummer bzw. einer Person zugeordnet werden. Eine Benachrichtigung würde daher erfordern, diesen Personenbezug zu ermitteln, was den Grundrechtseingriff noch vertiefen würde (…). In einer solchen Deanonymisierung läge ein schwerer wiegender Eingriff für die auf diese Weise mit Ort, Zeit und Empfangsbereitschaft ihres Mobiltelefons identifizierten Dritten gegenüber der kurzzeitigen Aufnahme der Gerätekennung, die keiner Person zugeordnet ist und nach anonymem Abgleich mit anderen Kennungen sofort unter strikter Beachtung des § 100 i Abs. 3 StPO zu löschen ist. Außerdem würden die Nachforschungen zur Identität des mitbetroffenen Dritten einen erheblichen Aufwand verursachen, zumal der Benutzer des Telefons im Zeitpunkt des Einsatzes des „IMSI-Catchers“ nicht mit derjenigen Person identisch sein muss, auf deren Namen das Mobiltelefon oder die SIM-Karte registriert sind.
cc) Sollten bei den Ermittlungsbehörden „IMSI-Catcher“ vorhanden sein, die technisch ein Mithören von Telefongesprächen in Echtzeit ermöglichen, so wäre die Nutzung dieser Funktion nicht durch § 100 i StPO gedeckt.
3. Auch ein Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete allgemeine Handlungsfreiheit der Beschwerdeführer ist weder ausdrücklich vorgetragen noch sonst ersichtlich.
a) Soweit durch den Einsatz des „IMSI-Catchers“ für einige Sekunden die Herstellung einer Telekommunikationsverbindung für ein einzelnes Mobiltelefon nicht möglich ist, handelt es sich um eine Verhinderung von Telekommunikation, die nicht unter Art. 10 Abs. 1 GG fällt (…). Das Unterbinden von Telekommunikation ist daher am Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit zu messen, das Betätigungen jedweder Art schützt (…).
b) Die Beeinträchtigung der Grundrechtsposition unbeteiligter Dritter ist jedenfalls gerechtfertigt.
aa) Laufende Gespräche oder anderweitige Kommunikationsverbindungen werden wegen der Funktionsweise des „IMSI-Catchers“ nicht gestört, so dass insoweit schon kein Eingriff vorliegt. Angesichts der engen Anwendungsvoraussetzungen und des infolge des erheblichen Aufwands – nach den vom Generalbundesanwalt und dem Bundeskriminalamt mitgeteilten Zahlen – eher seltenen Einsatzes des „IMSI-Catchers“ ist auch nicht zu befürchten, dass die Regelung des § 100 i StPO die Bereitschaft zur Nutzung von Mobiltelefonen einschränkt. Im Übrigen sind die Ermittlungsbehörden bereits aus kriminaltaktischen Erwägungen und zur Erleichterung der Auswertung bemüht, den „IMSI-Catcher“ nur im unmittelbaren Nahbereich der Zielperson einzusetzen, so dass die Anzahl der erfassten Mobiltelefone unbeteiligter Dritter und die dadurch verursachten Störungen möglichst gering gehalten werden. Ferner ist zu berücksichtigen, dass die IMSI- und IMEI-Nummern jeweils nur nacheinander erfasst werden können, so dass jeweils nur ein Funktelefon, nicht aber alle Telefone in einer Funkzelle zugleich von dem Einsatz betroffen sind.
bb) Sollte es dennoch zu einer kurzfristigen Versorgungslücke beim Erfassen der IMSI- oder IMEI-Nummer eines unbeteiligten Dritten kommen, so geht dieser Eingriff nicht über das Maß an Empfangs- und Sendestörungen hinaus, die im Mobilfunkbetrieb alltäglich auftreten. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass ein Mobiltelefon nach Freigabe durch den „IMSI-Catcher“ erst nach einer gewissen Zeit wieder zu seiner ursprünglichen Funkzelle zurückkehrt. Eine solche geringfügige Störung bei der Nutzung von Telekommunikationseinrichtungen ist jedenfalls angesichts der Bedürfnisse der Strafrechtspflege hinzunehmen (…).
4. Das Bundesministerium der Justiz hat mitgeteilt, seit längerem an einer Gesamtregelung der strafprozessualen heimlichen Ermittlungsmaßnahmen zu arbeiten, die die Vorschriften zur Telekommunikationsüberwachung und somit auch § 100 i StPO umfassen. Bei der Umsetzung dieser Vorschläge wird der Gesetzgeber die technischen Entwicklungen wegen des schnellen und für den Grundrechtsschutz riskanten informationstechnischen Wandels aufmerksam beobachten und gegebenenfalls durch Rechtssetzung korrigierend eingreifen müssen (…). Dabei wird zu prüfen sein, ob verfahrensrechtliche Vorkehrungen – wie etwa Benachrichtigungspflichten oder Rechtsschutzmöglichkeiten – zu erweitern sind, um den Grundrechtsschutz effektiv zu gewährleisten. Es stellt sich auch die Frage, ob und in welchem Umfang von einer neuerlichen Ausdehnung heimlicher Ermittlungsmethoden im Hinblick auf Grundrechtspositionen unbeteiligter Dritter Abstand zu nehmen ist. (…)