Durch das “Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs”, in Kraft getreten am 02.12.2020, wurden umfangreiche Änderungen im Wettbewerbsrecht umgesetzt. Wir haben darüber hier und hier berichtet. Um s.g. “Abmahnmissbrauch” einzudämmen, wurde u.a. der “fliegende Gerichtsstand” für “im Internet” begangene Wettberbsverstöße abgeschafft. Nach zwei einhalb Jahren seit der Umsetzung der Reform ist es Zeit, Bilanz zu ziehen. Wie steht es um die örtliche Zuständigkeit der Wettbewerbsgerichte?
Die örtliche Zuständigkeit im Wettbewerbsrecht
Die örtliche Zuständigkeit legt grundsätzlich fest, welches Gericht an welchem Ort konkret zur Aburteilung einer Streitigkeit berufen ist.
Bis zur Umsetzung der Reform im Wettbewerbsrecht galt hier der s.g. “fliegende Gerichtsstand” uneingeschränkt. So konnte nach § 14 Abs. 2 UWG (alt) die Klage nicht nur am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten, sondern auch bei dem Gericht erhoben werden, in dessen Bezirk der Begehungsort liegt. Hierunter fallen sowohl der Handlungs- als auch der Erfolgsort.
Bei Wettbewerbsverstößen im Internet (bspw. innerhalb von Handelsplattformen wie eBay und Amazon oder in Onlineshops) bedeutete dies, dass der Verstoß überall dort “begangen” war, wo das Online-Angebot abgerufen werden konnte – also überall. Der Kläger konnte somit das Gericht, das über seine Ansprüche entscheiden sollte, frei wählen. Dies führte zu der Möglichkeit des sog. „Forum Shoppings“: Es wurde gemeinhin das Gericht gewählt, bei dem – enstprechend dessen gängiger Rechtsprechung – die beste Aussicht auf Erfolg bestand – oft weit entfernt vom Geschäftssitz des Beklagten. Denn aufgrund der Tatsache, dass das Wettbewerbsrecht hauptsächlich durch Eilrechtsschutz geprägt ist, dessen Instanzenzug beim jeweiligen Oberlandesgericht endet und eine finale Klärung durch den BGH deshalb ausbleibt, ist die Rechtsprechung in den einzelnen Gerichtsbezirken durchaus bisweilen unterschiedlich.
Einschränkungen durch die Wettbewerbsrechtsreform
Seit der Gesetzesänderung durch das Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs ist zwar grundsätzlich auch noch das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Handlung begangen ist.
Jedoch sieht § 14 Abs. 2 Nr. 1 UWG nunmehr die wesentliche Ausnahme vor, dass der Gerichtstand des Begehungsortes dann nicht gilt, wenn es sich um eine Rechtsstreitigkeit wegen Zuwiderhandlungen in Telemedien, bzw. im elektronischen Geschäftsverkehr handelt.
In Rechtsprechung und Lehre umstritten ist hierbei, wie die neue Zuständigkeitsvorschrift auszulegen ist und welchen Umfang sie hat – insbesondere die Formulierung “Streitigkeiten in Telemedien und im elektronischen Geschäftsverkehr”.
Während weitgehend Einigkeit darüber herrscht, dass die Begriffe “Telemedien” und “elektronischer Geschäftsverkehr” redundant sind, da elektronische Geschäfte zwingend über Telemedien vermittelt werden, herrscht Streit über die Reichweite der Vorschrift.
Die wohl herrschende Meinung interpretiert den Wortlaut in dem Sinne, dass mit “Telemedien und elektronischer Geschäftsverkehr” das Internet als Medium an sich gemeint ist. Im Werbemittel “Internet” soll danach generell kein fliegender Gerichtsstand mehr gelten. Dies entspreche dem Willen des Gesetzgebers. Auf den Werbeinhalt – also etwa konkrete Wettbewerbsverstöße, die sich explizit auf telemedienrechtliche Informationspflichten oder solche im elektronischen Geschäftsverkehr beziehen, komme es nicht an.
Andere Ansichten und Teile der Rechtsprechung legen die Vorschrift hingegen aus wie in § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG. Dort wird von “Verstößen gegen gesetzliche Informations- und Kennzeichnungspflichten in Telemedien oder im elektronischen Geschäftsverkehr” gesprochen. Nichts anderes könne daher mit der Zuständigkeitsnorm in § 14 UWG gemeint sein.
Die Rechtsprechung der Instanzgerichte zum fliegenden Gerichtsstand
Landgericht Berlin
Das Landgericht Berlin erklärte sich in einem Fall unzuständig, da der Gerichtsstand einer unerlaubten Handlung nicht für Verstöße gelte, die im elektronischen Rechtverkehr begangen wurden (LG Berlin, Beschluss v. 23.08.2021, Az. 16 O 239/21).
Landgericht Düsseldorf
Das Landgericht Düsseldorf legt die Zuständigkeitsnorm so aus, dass der fliegende Gerichtsstand nach § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG nur dann entfällt, wenn im Internet gegen eine Informations- oder Kennzeichnungspflicht verstoßen wurde (LG Düsseldorf, Beschluss v. 21.05.2021, Az. 38 O 3/21).
Oberlandesgericht Düsseldorf
Das OLG Düsseldorf hingegen sieht keinen Raum für eine solche einschränkende Auslegung des Landgerichts (OLG Düsseldorf, Beschluss v. 16.02.2021, Az. I-20 W 11/21).
Landgericht und Oberlandesgericht Frankfurt am Main
Das Landgericht Frankfurt am Main schließt sich der Ansicht des Landgerichts Düsseldorf an. So sei es sowohl aus teleologischer, als auch aus historischer Sicht nicht ersichtlich, dass der fliegende Gerichtsstand im elektronischen Geschäftsverkehr oder in Telemedien gänzlich abgeschafft worden sei (LG Frankfurt a. M., Urteil v. 11.05.2021, Az. 3-06 O 14/21; OLG Frankfurt a. M., Urteil v. 08.10.2021, Az. 6 W 83 14/21).
Landgericht Hamburg
Wie das LG Frankfurt a. M. schließt sich auch das – einst für das Wettbewerbsrecht äußerst relevante – Landgericht Hamburg der Auffassung, die den fliegenden Gerichtsstand nur bei Verstößen gegen Informationspflichten oder Kennzeichnungspflichten im Internet ausgeschlossen sieht (LG Hamburg, Beschluss v. 28.08.2021, Az. 327 O 214/21).
Landgericht München I
Auch das Landgericht München nimmt eine teleologische Reduktion des § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG vor. Der fliegende Gerichtsstand bestehe danach nur dann nicht, wenn Kennzeichnungs- und Informationspflichten im Internet in Rede stünden. Für sonstige im Internet vermittelte Wettbewerbsverstöße bleibe der fliegende Gerichtsstand weiterhin eröffnet (LG München I, Urteil v. 08.11.2021, Az. 33 O 480/21).
Landgericht Stuttgart
Das Landgericht Stuttgart schließt sich der Ansicht des OLG Düsseldorf an und vertritt, dass der fliegende Gerichtsstand bei “rein virtuellen Sachverhalten” nicht heranzuziehen und nicht anwendbar sei (so LG Stuttgart, Beschluss v. 27.10.021, Az. 11 O 486/21). So weiche der Wortlaut des § 14 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 UWG absichtlich von dem des § 13 Abs. 4 Nr. 1 UWG ab und meine nicht nur solche Fälle, bei denen gegen eine Informations- oder Kennzeichnungspflicht verstoßen wird.
Fazit
Der fliegende Gerichtsstand hatte sich im Wettbewerbsrecht bewährt. Er hat zur Herausbildung von Schwerpunktgerichten geführt, bei denen wettbewerbsrechtliche Kompetenz sukzessive kumuliert wurde. Kläger wie Beklagte konnten sich vor diesen Gerichten in der Regel einer sachdienlichen und zweckentsprechenden inhaltlichen Befassung mit den detaillierten wettbewerbsrechtlichen Streitfragen sicher sein – eine Kompetenz, die den allgemeinen Geschäftssitzgerichten in aller Regel fehlt. Vor diesem Hintergrund war auch den Abgemahnten, bzw. Verklagten geholfen, selbst wenn das Gericht “weit weg” gewesen sein mag. Das Missbrauchsargument der “Auswahl eines weit entfernten Gerichts” hat sich seit der zusehends immer mehr verbreiteten Online-Verhandlungen (§ 128a ZPO) ohnehin weitestgehend erübrigt. Dies gilt erst recht, weil Wettbewerbsverfahren in der Regel schnell gehen, Beweise durch Augenschein erbracht werden können und langwierige Zeugenvernehmungen ausbleiben.
Dass einige wesentliche Instanzgerichte die Einschränkung des fliegenden Gerichtsstands teleologisch auf Verstöße gegen Kennzeichnungs- und Informationspflichten im Internet reduzieren, mag vor dem vorgenannten Hintergrund erfreulich sein.
Jedoch dürften diese Auslegungen in der Tat am Willen des Gesetzgebers und an der Systematik des Gesetzes scheitern. Eine höchstrichterliche Entscheidung hierzu wird vermutlich noch einige Zeit auf sich warten lassen – kommen wird sie aber. Wir werden an dieser Stelle dazu berichten.
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