Das so genannte “Anhängen bei Amazon” ist nach wie vor häufiger Anlass für Streit unter Marketplace-Händlern der Plattform. Obwohl von Amazon gewünscht und gefordert, stoßen sich viele Amazon-Händler daran, dass Mitbewerber sich an “ihr” Angebot “anhängen” – erst recht, wenn der Konkurrent das Produkt billiger anbietet und deshalb in den Genuss der s.g. “Buy Box” kommt, also den prominenten “Kaufen-Button” von Amazon direkt auf der Produktseite in Anspruch nehmen darf. Viele Händler versuchen deshalb, genau dies zu verhindern – zum Beispiel dadurch, dass sie dem Angebot eine bestimmte, eigene Markenherkunft attestieren, um Mitbewerber vom “Anhängen” abzuschrecken. Nachdem bereits das Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 22.11.2018, Az. 4 U 73/18) und das Oberlandesgericht Köln (Urteil vom 2603.2021, Az. 6 U 11/21) dieses Geschäftsgebaren unter bestimmten Voraussetzungen als Mitbewerberbehinderung betrachtet haben, hat sich nun auch das Landgericht Berlin in einem von der KEHL Rechtsanwaltsgesellschaft betreuten Rechtsstreit dieser Ansicht angeschlossen (LG Berlin, Urteil vom 22.11.2021, Az. 101 O 128/20). Lesen Sie alles zur aktuellen Entscheidung zur Mitbewerberbehinderung hier.
Hintergrund: Anhängen bei Amazon und Mitbewerberbehinderung
Funktionsweise des Amazon Marketplace
Über die Funktionsweise des Amazon Marketplace und die rechtlichen Besonderheiten im Rahmen des s.g. Anhängens bei Amazon hatten wir hier bereits detailliert berichtet.
Amazon hat bereits vor vielen Jahren begonnen, die Struktur seiner Plattform anders zu gestalten als andere Onlinehandelsplattformen. Während beispielsweise bei eBay jeder Händler innerhalb seines Verkäuferprofils beliebig viele verschiedene Artikel anlegen und online stellen kann mit der Folge, dass für ein und denselben Artikel ggf. dutzende verschiedene Einzelangebote bestehen, ordnet Amazon seinen Shop grundlegend anders: Hier werden nicht die Produkte den Anbietern zugeordnet, sondern umgekehrt. Jedes eingestellte Produkt erhält in der Regel anhand seiner EAN eine Seite, der dann die Anbieter eben dieses Produktes zugeordnet werden. Beim Anbieten auf Amazon werden Händler also gezwungen, sich im Zweifel an fremde Angebote anzuhängen.
Bietet ein Händler ein Produkt erstmals auf Amazon an, wird dem Produkt von Amazon eine eindeutige Identifikationsnummer zugeordnet. Für jedes neue Produkt, das bei Amazon inseriert wird, vergibt Amazon eine s.g. Amazon Standard Identification Number (ASIN). Existieren mehrere Angebote zum selben Produkt von verschiedenen Anbietern, bzw. bietet ein Mitbewerber später das gleiche Produkt ebenfalls auf Amazon an, werden die gesamten Angebote der unterschiedlichen Händler auf einer einheitlichen Produktseite zusammengefasst und präsentiert. Amazons erklärtes Ziel hinter dieser Firmenpolitik ist es, die Übersichtlichkeit und den Preiswettbewerb zu stärken.
Amazon verpflichtet seine Maketplace-Händler sogar durch spezielle Allgemeine Geschäftsbedingungen dazu, sich zu verhalten wie beschrieben – u.a. durch die “Richtlinien zur ASIN-Erstellung”. Verstoßen Händler dagegen, droht ihnen der Rauswurf und der globale Ausschluss von der Handelsplattform.
Gezielte Mitbewerberbehinderung: Verhinderung des Anhängens durch Behinderungsmarke
Dem von unserer Kanzlei betreuten und nun vom Landgericht Berlin entschiedenen Fall lag der folgende Sachverhalt zugrunde:
Die Parteien vertreiben u.a. FFP2-Atemschutzmasken über das Internet, insbesondere über die Handelsplattform Amazon. Die Anspruchstellerin, Abmahnende, Antragstellerin und Verfügungsklägerin (im Folgenden: Verfügungsklägerin) hatte den Schutz ihrer auf sie lizensierten und ursprünglich für andere Produkte und Dienstleistungen registrierten Wort-Bildmarke (“Marke 1“) in der ersten Hochphase der Corona-Pandemie im Herbst 2020 auch auf “Atemschutzmasken” ausgedehnt. Die Masken hat sie dabei nicht selbst hergestellt, sondern vielmehr über einen chinesischen Hersteller importiert, der wiederum seine eigene Marken- und Herstellerbezeichnung auf den Produktverpackungen angebracht hatte. Sowohl dem Angebotstitel als auch der Markenbezeichnung ihres Amazon-Angebots, für das die Verfügungsklägerin eine eigene ASIN kreierte, fügte sie den Wortbestandteil der Marke “Marke1” hinzu. Sie verwendete Produktfotos, auf denen im oberen mittleren Bereich der Umverpackung die Wiedergabe der “Marke1” zu erkennen war.
In ihrem Angebot warb die Verfügungsklägerin zusätzlich mit ihrer s.g. “Marke1-Assekuranz”. Diese, von ihr so bezeichnete Zusatzleistung sollten Kunden der Verfügungsklägerin erhalten, die sich nach Kauf der Masken auf einer speziellen Internetseite der Verfügungsklägerin für die Inanspruchnahme registrieren.
Die “Assekuranz” sollte beinhalten:
- 24h-Telefonsupport
- Sofortiger Ersatz gerissener Ohrenbänder
- Kostenloses Nackenband für besseren Tragekomfort
Die von der KEHL Rechtsanwaltsgesellschaft vertretene und in Anspruch genommene Abgemahnte, Antragsgegnerin und Verfügungsbeklagte (im Folgenden: Verfügungsbeklagte) vertreibt die gleichen Masken des identischen chinesischen Herstellers. Sie hat die Meinung vertreten, das Branding der Verfügungsklägerin erfolge nur zur Mitbewerberbehinderung und hat sich deshalb an das Amazon-Angebot “angehängt”, einen niedrigeren Verkaufspreis veranschlagt und somit Amazons “Buy Box” erhalten.
Der Gang der Auseinandersetzung
Nachdem sich die Verfügungsbeklagte an das Amazon-Angebot – wie beschrieben – “angehängt” hatte, mahnte die Verfügungsklägerin sie unter Fristsetzung zur Beseitigung und Unterlassung ab. Sie hat die Auffassung vertreten, in dem “Anhängen” an ihr Angebot liege eine wettbewerbsrechtlich unlautere Irreführung über die betriebliche Herkunft der Masken (§ 5 Abs. 1 UWG), eine Markenrechtsverletzung durch unerlaubte Benutzung der “Marke1” (§ 14 Abs. 5 MarkenG) und eine Urheberrechtsverletzung im Hinblick auf die Produktfotos (§ 97 UrhG).
Dieser Abmahnung ist die Verfügungsbeklagte entgegengetreten. Sie hat weder ihr eigenes Angebot beendet noch die geforderte Unterlassungserklärung abgegeben.
Die Verfügungsklägerin ersuchte daraufhin das Landgericht Berlin nach einer einstweiligen Verfügung.
In ihrem auf den Erlass dieser einstweiligen Verfügung gerichteten Antrag hat sie u.a. behauptet,
- die Umverpackung der Masken entspreche der in den Produktfotos dargestellten Form,
- die Umverpackung der Masken sei insbesondere mit der “Marke1” versehen,
- zwischen ihr und dem chinesischen Hersteller bestehe für Deutschland ein exklusives Bezugsrecht und
- die “Assekuranz” werde von der Verfügungsbeklagten nicht angeboten.
Das Landgericht Berlin hat daraufhin gegen die Verfügungsbeklagte eine einstweilige Verfügung erlassen, in der dieser bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten worden ist,
Schutzmasken (insbesondere im Internet, ohne hierauf beschränkt zu sein), zum Kauf anzubieten, sofern dies
a. unter Verwendung der Herstellerbezeichnung “MARKE1” oder “Marke1”,
und/oder
b. unter der Produktbezeichnung “[Titel des Amazon-Angebots]”
und/oder
c. unter der Amazon-Standard-Identifikationsnummer …
und/oder
d. unter der URL … oder … erfolgt;
und/oder
bereits eingegangene Bestellungen, die unter die vorgenannten Tatbestände fallen, auszuliefern.
Die Verfügungsbeklagte hat hiergegen Widerspruch erhoben.
Sie hatte zwischenzeitlich u.a. einen Testkauf bei der Verfügungsklägerin vorgenommen, aus dem sich ergeben hat, dass die Umverpackungen der verfügungsklägerischen Masken über keinen Markenaufdruck mit der “Marke1” verfügen. Die Umverpackung entpuppte sich vielmehr als im Wesentlichen identisch mit ihren eigenen. Die Produktfotos, die die Verfügungsklägerin bei Amazon verwende, seien manipuliert; das Markenlogo sei lediglich einkopiert. Die Maskenpackungen seien ausschließlich mit der Markenbezeichnung des chinesischen Herstellers versehen.
Auch das behauptete Exklusivitätsverhältnis mit dem chinesischen Produzenten bestehe nicht, da die Verfügungsbeklagte ebenfalls – über einen weiteren deutschen Importeur – die gleichen chinesischen Masken beziehe.
Die s.g. “Assekuranz” sei vorgeschoben und diene ausschließlich der Mitbewerberbehinderung. Denn die behauptete Hotline sei nicht erreichbar. Auf E-Mails werde nicht reagiert. Darüber hinaus seien die angepriesenen Zusatzleistungen wettbewerbswidrige Selbstverständlichkeiten, die jeder Verkäufer schon wegen der Mängelgewährleistung schulde.
Insgesamt stelle sich das Gebaren der Verfügungsklägerin als Behinderungswettbewerb i.S.d. § 4 Abs. 4 UWG dar. Sie habe ihren Markenschutz ausschließlich zum Zwecke der Mitbewerberbehinderung auf Masken ausgedeht, um ihr Amazon-Angebot entsprechend ausgestalten und Konkurrenten von diesem Angebot und dessen ASIN ausschließen zu können. Ziel sei gewesen, in unlauterer Weise von der Corona-Pandemie zu profitieren.
Aus diesem Grund stehe den vermeintlichen Unterlassungsansprüchen der Verfügungsklägerin (aus Wettbewerbsrecht, aus Markenrecht und aus Urheberrecht) der Einwand des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB entgegen.
Die Verfügungsbeklagte hat daher beantragt,
die einstweilige Verfügung unter Zurückweisung des auf ihren Erlass gerichteten Antrags aufzuheben und der Verfügungsklägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Die Verfügungsklägerin hatte zuletzt beantragt,
die einstweilige Verfügung unter Zurückweisung des Widerspruchs zu bestätigen.
Die Entscheidung des Landgerichts Berlin: Mitbewerberbehinderung!
Auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten und nach mündlicher Verhandlung hat das Landgericht Berlin mit Urteil vom 22.11.2021 durch Urteil – Az. 101 O 128/20 – für Recht erkannt:
Auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten wird die einstweilige Verfügung unter Zurückweisung des auf ihren Erlass gerichteten Antrags aufgehoben.
Das Landgericht Berlin ist im Wesentlichen der Argumentation der Verfügungsbeklagten gefolgt.
Das geschäftliche Verhalten der Verfügungsklägerin sei in der Gesamtschau aller Tatsachen seinerseits wettbewerbswidrig und stelle eine gezielte Mitbewerberbehinderung dar. Aus diesem Grund sei der Verfügungsklägerin die Durchsetzung ihrer – an sich bestehenden – Unterlassungsansprüche aus Gründen des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB verwehrt.
Es schließt sich damit den bereits eingangs genannten Entscheidungen der Oberlandesgerichte Köln und Hamm an, denen ähnliche Fallkonstellationen zugrundelagen.
Das Landgericht Berlin führt aus:
“Vorliegend hält die Kammer für entscheidungserheblich, dass von der [Verfügungsklägerin] nicht bestritten worden ist, dass beide Parteien identische Produkte anbieten, dass beide Parteien lediglich Händler [sind] und die Masken nicht aus ihrem Betrieb stammen sowie dass die Marke „Marke1″ auf den Produktfotos einkopiert wurde, während weder die Produkte noch die Produktverpackung den Markennamen „Marke1″ aufwiesen. Dies ist mit den beiden von der [Verfügungsbeklagten] zur Akte gereichten Beistücken glaubhaft gemacht. Der Testkauf hat gezeigt, dass das […] von der [Verfügungsklägerin] vertriebene Produkt an keiner Stelle als „Marke1″ gekennzeichnet ist; die [Verfügungsklägerseite] konnte dementsprechend auch nicht entkräften, dass in das im damaligen Amazon-Angebot eingeblendete Produktfoto nachträglich der Schriftzug „Marke1″ einkopiert wurde.“
Und weiter:
“Die Kammer geht davon aus, dass die [Verfügungsklägerin] Wettbewerber zumindest aus Teilbereichen des Amazon-Marktes herauszudrängen versucht, indem sie die von ein und demselben chinesischen Hersteller bezogenen Masken mit einer „Assekuranz” einer ASIN zuordnen lässt, um damit vermeintlich ein ‘anderes’ – nach ihrem Verständnis besseres – Produkt anbieten zu können. Die mit der „Assekuranz” angepriesenen Vorteile hält die Kammer indes aus den genannten Gründen für überhaupt nicht werthaltig, weshalb sie davon ausgeht, dass die [Verfügungsklägerin] die „Assekuranz” nur anbietet, um andere Händler aus dem Vertrieb der vom identischen chinesischen Hersteller bezogenen Produkte auszuschließen; dies ist rechtsmissbräuchlich.“
Fazit zur Mitbewerberbehinderung bei Amazon
Es mag zwar für Amazon-Händler verlockend sein, die Struktur und Funktionsweise der Plattform dahingehend auszunutzen, dass man das eigene Angebot über Marken und sonstige vermeintliche Exklusivität zu “monopolisieren” und Mitbewerber so vom “Anhängen” auszuschließen versucht. Die deutsche Rechtsprechung sieht dies jedoch zunehmend anders – wie das neue Urteil aus Berlin zeigt.
Markenbezeichnungen nutzen und dementsprechend ASIN-Nummern generieren sollte daher zukünftig nur, wer tatsächlich eigene Produkte oder Dienstleistungen unter einer Marke oder Herstellerbezeichnung anbietet und vertreibt.
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