Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in der ersten diesbezüglichen und damit wegweisenden Entscheidung gewerblichen Mietern, die ihre Ladengeschäfte während der Lockdown- und Schließungsanordnungen innerhalb der Corona-Pandemie schließen mussten, einen grundsätzlichen Anspruch auf Senkung und Anpassung ihrer Miete zuerkannt. Durch die wegen der Gefahr einer Infektion mit Covid-19 staatlich angeordneten umfassenden Schließungsverfügungen im Einzelhandel sei die Geschäftsgrundlage eines gewerblichen Mietvertrages gestört. Der Mieter könne die Höhe des Mietzinses grundsätzlich anpassen und senken. Denn das Lebensrisiko, das sich durch die Pandemie verwirklicht habe, könne auch im gewerblichen Mietvertragsrecht nicht einseitig dem Mieter auferlegt werden. Allerdings bestehe kein pauschaler Anspruch auf Senkung der Miete – etwa um die Hälfte. Es komme vielmehr auf den Einzelfall an. Auch Mietminderung komme nicht in Betracht. Lesen Sie alles zum aktuellen Urteil des BGH vom 12.01.2022, Az. XII ZR 8/21, in diesem Artikel.
Lockdown im Frühjahr 2020 – Zum Hintergrund der Entscheidung des Mietsenats
Während der s.g. ersten Welle der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 in Deutschland haben die Länder zur Pandemiebekämpfung nie dagewesene Einschränkungen des öffentlichen Lebens verordnet. U.a. wurden der Einzelhandel, Kultur- und Sporteinrichtungen, Gastronnomiebetriebe und Freizeiteinrichtungen geschlossen.
Eine solche, vom Freistaat Sachsen allgemeinverfügte Schließungsanordnung traf im Frühjahr 2020 auch die Mieterin und Beklagte des Ausgangsverfahrens. Sie betrieb ein Einzelhandelsgeschäft für Bekleidung aller Art in Sachsen, dessen Räumlichkeiten sie zu einem monatlichen Mietzins i.H.v. 7.854,00 EUR angemietet hatte. Im Zeitraum vom 19.03.2020 bis zum 19.04.2020 musste sie ihr Geschäft wegen des Lockdown zwangsweise schließen und zahlte wegen der damit einhergehenden massiven Umsatzeinbußen für April 2020 keine Miete.
Mietmangel begründe. Darüber hinaus habe sie einen Anspruch auf Anpassung des Mietzinses aus Wegfall, bzw. Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB. Schließlich sei es Vermietern damals auch verboten gewesen, wegen corona-bedingten Mietausfällen zu kündigen. Das Landgericht folgte im Ergebnis aber dem Kläger und verurteilte die Beklagte antragsgemäß auf Zahlung der Miete.
Die dagegen von der Beklagten erhobene Berufung zum Oberlandesgericht Dresden war zunächst teilweise erfolgreich. Unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen änderte das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil dahingehend ab, dass die Beklagte im Lockdown lediglich zur Zahlung der Hälfte des Mietzinses verpflichtet gewesen sei. Denn ihr habe jedenfalls ein Anspruch auf Vertragsanpassung wegen der Störung der Geschäftsgrundlage zugestanden. Das Oberlandesgericht ließ die Revision zum Bundesgerichtshof zu.
Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden haben beide Parteien Revision zum BGH erhoben. Die Klägerin verfolgt ihren Anspruch auf Zahlung der gesamten Miete weiter, während die Beklagte weiterhin vollständige Klageabweisung begehrt.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Der Bundesgerichtshof hat auf die Revisionen der Parteien das Urteil des Oberlandesgerichts Dresden insgesamt aufgehoben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (Urteil des BGH vom 12.01.2022, Az. XII ZR 8/2).
Der Bundesgerichtshof meint:
Einem gewerblichen Mieter eines Ladenlokals, bzw. sonstiger, der Öffentlichkeit zugänglicher gewerblich genutzer Räumlichkeiten stehe im Falle eines behördlich angeordneten Lockdown aufgrund einer Pandemie grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung des Mietzinses aus den Vorschriften über die Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB zu.
§ 313 Abs. 1 BGB lautet insoweit:
“Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.”
Ihr Begehren könne die Mieterin, so der BGH, allerdings nicht darauf stützen, dass der Gesetzgeber während des Beginns der Corona-Pandemie ein mietrechtliches Kündigungsverbot für Vermieter erlassen hatte (Art. 240 § 2 EGBGB).
Auch liege kein Mangel an der Mietsache vor, der die Mieterin zur Minderung der Miete nach den gesetzlichen Vorschriften berechtige. Denn die verfügte Geschäftsschließung betreffe nicht die grundlegende Eignung der gemieteten Geschäftslokale zur Erreichung des Mietzwecks und liege darüber hinaus auch nicht in der Verantwortungssphäre des Vermieters.
Dem Mieter von gewerblich genutzten Räumen kann jedoch im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB zustehen. Dies habe das Berufungsgericht im Ausgangspunkt zutreffend erkannt.
Rechtsfehlerhaft sei hingegen, dass das Berufungsgericht – ohne ausreichende konkrete Prüfung des Einzelfalls – von einer quasi pauschalen Anpassung des Mietzinses auf die Hälfte des vereinbarten Betrages ausgegangen sei.
Der Bundesgerichtshof fasst dies so zusammen:
“Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB berechtigt jedoch noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr verlangt die Vorschrift als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Beruht die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters wie im vorliegenden Fall auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie einer Betriebsschließung für einen gewissen Zeitraum, geht dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus. Denn die wirtschaftlichen Nachteile, die ein gewerblicher Mieter aufgrund einer pandemiebedingten Betriebsschließung erlitten hat, beruhen nicht auf unternehmerischen Entscheidungen oder der enttäuschten Vorstellung, in den Mieträumen ein Geschäft betreiben zu können, mit dem Gewinne erwirtschaftet werden. Sie sind vielmehr Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, für die keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden kann. Durch die COVID-19-Pandemie hat sich letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung ohne eine entsprechende vertragliche Regelung nicht erfasst wird. Das damit verbundene Risiko kann regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden.”
Die angesprochenen Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls – auch, inwieweit Umsatzeinbußen durch Förderungen des Staates kompensiert werden konnten – habe das Berufungsgericht nicht hinreichend untersucht und gewürdigt. Deshalb hat der Bundesgerichtshof das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen.
Was bedeutet die Lockdown-Entscheidung für gewerbliche Mieter?
Die wichtigten und relevantesten Erkenntnisse der neusten BGH-Entscheidung für gewerbliche Mieter, die von Schließungen in einem pandemie-bedingten Lockdown betroffen sind:
- Eine hoheitliche Schließungsverfügung für gewerbliche Mieträume begründet keinen Mietmangel, der zur Mietminderung berechtigt.
- Das Vermietern vorübergehend auferlegte Kündigungsverbot, wenn Mietausfälle corona-bedingt sind, berechtigt den Mieter nicht zur Senkung der Miete.
- Gewerblichen Mietern steht bei pandemie-bedinger Geschäftsschließung grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung (und Senkung) der Miete zu.
- Dabei sind alle konkreten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Eine pauschale Senkung (etwa um die Hälfte) verbietet sich.
- Auch staatliche Kompensationsmaßnahmen aufseiten des Mieters sind zu berücksichtigen, solange es sich dabei nicht nur um staatliche Überbrückungskredite handelt.
Was sollten gewerbliche Mieter jetzt tun?
Die BGH-Entscheidung hat zunächst einmal ganz grundlegend zur Rechtssicherheit im Bereich des Gewerblichen Mietrechts im Falle von Pandemien beigetragen. Sowohl Mieter als auch Vermieter haben bei pandemiebedingten behördlichen Geschäftsschließungen einen Teil des allgemeinen Lebensrisikos abzufedern.
Dies entspricht grundlegend den Vorstellungen des BGB-Gesetzgebers, der die Regelungen zur Störung der Geschäftsgrundlage für derartige Ausnahmefälle vorgesehen hatte.
Die konkrete Verteilung des Risikos allerdings – und damit die Höhe des Anspruchs auf “Mietminderung” nach den Vorschriften der Störung, bzw. des Wegfalls der Geschäftsgrundlage – bleibt allerdings einer umfassenden und individuellen Einzelfallabwägung vorbehalten. Dabei sind u.a. auch staatliche Kompensations- und Fördermittelzahlungen zu berücksichtigen, solange es sich dabei um nicht rückzahlbare “verlorene” Zuschüsse handelt. Öffentliche Überbrückungskredite bleiben hingegen unberücksichtigt.
Auch wenn der BGH einen Anpassungsanspruch dem Grunde nach zuerkannt hat, sollten sich gewerbliche Mieter unbedingt rechtlich beraten lassen, bevor etwaige Ansprüche geltend gemacht werden.