Hohe Anforderungen an Wohnungskündigung zwecks Flüchtlingsunterbringung

In der Diskussion um die Unterbringung von Flüchtlingen wird seit einiger Zeit insbesondere die Frage aufgeworfen, welche Mittel der öffentlichen Hand zur Verfügung stehen, um geeigneten Wohnraum zu akquirieren. In einigen Bundesländern, wie Hamburg und Bremen, wurde bereits im Jahr 2015 ein Gesetz zur Flüchtlingsunterbringung beschlossen, das die (entschädigungspflichtige) Einweisung in ungenutzte Gebäude vorsieht. Andere Bundesländer lehnen hingegen eine Beschlagnahmung von Immobilien ausdrücklich ab.

Neben der vorübergehenden Einweisung steht auch die Option zur Unterbringung in Gebäuden, die der öffentlichen Hand gehören, zur Verfügung. Bei der Suche nach Wohnraum stellt sich die Frage, ob die Kommunen berechtigt sind, bestehende Mietverhältnisse mit Dritten zu kündigen, um den so frei werdenden Wohnraum zur Unterbringung von Flüchtlingen zu nutzen. In der Vergangenheit sind derartige Fälle kommunaler “Eigenbedarfskündigungen” aus verschiedenen deutschen Gemeinden bekannt geworden.

Zusammenfassung

  1. Im Allgemeinen gelten für kommunale Vermieter dieselben Regeln wie für private Vermieter.
  2. Eine Kündigung des Mietverhältnisses seitens des Vermieters erfordert auch für kommunale Vermieter ein “berechtigtes Interesse” gemäß § 573 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches.
  3. Das gesetzliche Beispiel für Eigenbedarf in § 573 Ab. 2 Nr. 2 BGB ist auf Privatpersonen als Vermieter zugeschnitten und kann daher nicht auf kommunale “Eigenbedarfskündigungen” angewendet werden.
  4. Eine Gemeinde kann sich grundsätzlich auf ein “berechtigtes Interesse” an der Beendigung eines Mietverhältnisses nach § 573 Abs. 1 BGB berufen, wenn die Kündigung zur Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Pflichten erforderlich ist.
  5. Die Verpflichtung zur Unterbringung von Asylbewerbern stellt eine öffentlich-rechtliche Pflicht des kommunalen Vermieters dar. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit ist das öffentlich-rechtliche Interesse des Vermieters jedoch gegenüber dem grundrechtlich geschützten Bestandsschutzinteresse des privaten Mieters abzuwägen.
  6. In der Regel hat das Interesse des öffentlich-rechtlichen Vermieters hierbei hinter dem Recht der Privatperson zurückzutreten.
  7. Sollte das öffentlich-rechtliche Interesse des Vermieters ausnahmsweise überwiegen, sind die gesetzlichen Kündigungsfristen gem. § 573c BGB zu beachten.

Besonderheit bei Genossenschaften

Gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 GenG sind Genossenschaften Gesellschaften mit offener Mitgliederstruktur, die den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch einen gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb fördern. Der Zweck von Wohnungsgenossenschaften liegt vorrangig in der Förderung ihrer Mitglieder durch eine gute, sichere und sozial verantwortbare Wohnungsversorgung. Das Rechtsverhältnis zwischen Genossenschaft und Mitgliedern wird durch die Satzung geregelt, die von den gesetzlichen Vorgaben nur insoweit abweichen darf, wie dies ausdrücklich erlaubt ist. Die Überlassung von Wohnraum an Genossenschaftsmitglieder erfolgt auf Grundlage einer Dauernutzungsvereinbarung, auf die Bestimmungen des Mietrechts entsprechend Anwendung finden. Flüchtlinge sind in der Regel keine Mitglieder von Wohnungsgenossenschaften, was die Überlassung von Wohnraum an sie erschwert. Die Vermietung an externe Personen, einschließlich Flüchtlinge und Asylbewerber, ist ausgeschlossen, wenn ein Wohnbedarf für die Genossenschaftsmitglieder besteht. In solchen Fällen gelten im Verhältnis zwischen Mieter und Vermieter ausschließlich die Regelungen der §§ 535 ff. BGB. Der Mietvertrag ist wegen eines möglichen Satzungsverstoßes nicht unwirksam, aber der Mieter hat auch keine aus der Satzung oder dem GenG abgeleiteten Pflichten oder Rechte.

Allgemeine mietrechtliche Grundsätze

Gemäß § 573 Abs. 1 S. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) kann ein Vermieter eines Wohnraums das bestehende Mietverhältnis ordentlich kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Allerdings handelt es sich dabei um eine Vorschrift, die den Mieterschutz gewährleisten soll. Anders als im allgemeinen Mietrecht ist eine ordentliche Kündigung des Vermieters von Wohnraum nur möglich, wenn dieser ein berechtigtes Interesse an der Kündigung nachweisen kann. Gemäß § 573 Abs. 2 BGB gibt es hierfür einige Regelbeispiele, wie z.B. wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten erheblich und schuldhaft verletzt hat, der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Haushaltsangehörige benötigt oder wenn eine Fortsetzung des Mietverhältnisses den Vermieter an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks hindert und dadurch erhebliche Nachteile entstehen.

Grundsätzlich sind die Vorschriften des Mietrechts gemäß BGB für alle Vermieter anwendbar, einschließlich der öffentlichen Hand.

Die Möglichkeit einer Gemeinde, einen Wohnraummietvertrag zu kündigen, ist an das Vorliegen eines berechtigten Interesses gemäß § 573 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gebunden. Gemäß den Regelbeispielen des § 573 BGB stellt sich zunächst die Frage, ob sich Kommunen in den genannten Fällen auf eine Art von “Eigenbedarf” gemäß § 573 Absatz 2 Nr. 2 BGB berufen können. Dies bedeutet, dass sie als Vermieter “die Räume als Wohnung für sich, (ihre) Familienangehörigen oder Angehörige (ihres) Haushalts benötigen”. Allerdings können juristische Personen die Tatbestandsvoraussetzungen eines Eigenbedarfs gemäß § 573 Absatz 2 Nr. 2 BGB nicht erfüllen, da sie naturgemäß weder selbst eine Wohnung benötigen noch Familien- oder Haushaltsangehörige haben.

Eine Alternative zur Kündigung aus Eigenbedarf ist das Vorliegen eines “Betriebsbedarfs”. Gemäß § 573 Absatz 2 BGB zählt die Liste der Umstände, die ein “berechtigtes Interesse” des Vermieters begründen, nicht abschließend auf. Ähnliche, mit den Regelbeispielen vergleichbare Gründe berechtigen also ebenfalls zur Kündigung nach § 573 Absatz 1 Satz 1 BGB. Auch bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts kann ein dem Kündigungsgrund des Eigenbedarfs aus § 573 Absatz 2 Nr. 2 BGB “artverwandtes” Interesse vorhanden sein. Zur Abgrenzung vom seinem Wortlaut nach nicht einschlägigen Regelbeispiel des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB wird bei juristischen Personen statt “Eigenbedarf” von “Betriebsbedarf” gesprochen, wenn etwa die juristische Person ein Mietverhältnis kündigen möchte, weil sie die Wohnung eigenen Bediensteten zur Erfüllung oder im Rahmen von öffentlichen Aufgaben zur Verfügung stellt. Ein solcher, dem Eigenbedarf aus § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB vergleichbarer Fall ist jedoch nicht einschlägig, wenn die Wohnung nicht an Gemeindebedienstete, sondern an Dritte, etwa an Flüchtlinge, weitergegeben werden soll.

Als weitere Fallgruppe des § 573 Absatz 1 Satz 1 BGB, die den Regelbeispielen des § 573 Absatz 2 BGB vergleichbar ist, ist das Bestehen eines öffentlichen Interesses an der Beendigung eines konkreten Mietverhältnisses anerkannt, namentlich wenn die Kündigung zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten des Vermieters erforderlich ist. Der Bundesgerichtshof hat zuletzt mit Urteil vom 9.5.2012 klargestellt, dass ein berechtigtes Interesse an der Beendigung eines Mietverhältnisses vorliegen kann, wenn eine öffentlich-rechtliche Körperschaft (vor allem eine Gemeinde) die von ihr vermietete Wohnung zur Umsetzung von Aufgaben benötigt, an deren Erfüllung ein gewichtiges öffentliches Interesse besteht.

Entscheidungen der Amtsgerichte

Diesbezüglich haben einige Gerichte seit den 1990er Jahren einige Entscheidungen getroffen. Da für Streitigkeiten über Ansprüche aus einem Mietverhältnis über Wohnraum ausschließlich an die Amtsgerichte (§ 23 Nr. 2 a GVG) zuständig sind, mangelt es an obergerichtlichen Entscheidungen.

Im einem Fall entschied des AG Waldshut-Tiengen auf die Klage einer Gemeinde auf Räumung gegen einen privaten Mieter, dem sie den Mietvertrag gekündigt hatte, um ihre öffentlich-rechtlichen Aufgaben zu erfüllen, nämlich die Unterbringung von Asylbewerbern. Das AG entschied, dass die Unterbringung von Asylbewerbern grundsätzlich eine öffentlich-rechtliche Aufgabe darstellt, die ein “berechtigtes Interesse” der Gemeinde an der Beendigung des Mietverhältnisses darstellen kann. Das Gericht stellte außerdem fest, dass die Tatsache, dass die Gemeinde anderweitige Möglichkeiten zur Unterbringung von Asylbewerbern hat, wie beispielsweise die Anmietung von Wohnraum, nichts an ihrem berechtigten Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses ändert. Die Bestandsschutzinteressen des Mieters wurden diesem berechtigten Interesse der Vermieterin gegenübergestellt, wobei im konkreten Fall dem Interesse der Gemeinde Vorrang eingeräumt wurde.

Das AG Göttingen wurde ebenfalls mit einem ähnlichen Fall konfrontiert, in dem eine Gemeinde einem Dritten den Mietvertrag kündigte, weil sie die Wohnung zur Unterbringung von Asylbewerbern benötigte. Das Gericht entschied, dass die Gemeinde verpflichtet sei, Asylbewerber, die ihr zugewiesen werden, unterzubringen. Sie habe bereits Privatwohnungen zur Unterbringung von Asylbewerbern angemietet und müsse zu diesem Zweck auch künftig Privatzimmer anmieten. Daher sei das Begehren der Gemeinde, auf ihr Eigentum zurückzugreifen, um ihre öffentlich-rechtlichen Pflichten zu erfüllen, nicht missbräuchlich. Außerdem würden die Interessen des Mieters die Interessen der vermietenden Gemeinde nicht überwiegen. Insbesondere habe der Mieter nicht dargelegt, dass er angemessenen Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschaffen könne.

Kritik

Die vorgenannten Entscheidungen dürften jedoch im Ergebnis unzutreffend sein. Denn ob ein Vermieter ein “berechtigtes Interesse” gemäß § 573 Abs. 1 BGB hat, um das Mietverhältnis zu beenden, hängt nicht nur von Faktoren ab, die in der Sphäre des Vermieters liegen. Es müssen auch die Interessen des Mieters berücksichtigt werden. Das “berechtigte Interesse” ergibt sich als Ergebnis einer umfassenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls: Das öffentliche Interesse muss nach der herrschenden Meinung so gewichtig sein, dass es das Bestandsinteresse des bisherigen Mieters überwiegt.

Die Regelung des § 573 BGB geht über den Schutz des Vermieters hinaus. Sie stellt das Kernstück des sozialen Mietrechts dar. Die Vorschrift soll ein ausgewogenes Ergebnis erzielen, das im Allgemeinen dem Interesse des Mieters am Fortbestand des Mietverhältnisses Rechnung trägt, aber in besonderen Ausnahmefällen den Interessen des Vermieters Vorrang gibt.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der berechtigte Besitz des Mieters als zentraler Bereich der freien Entfaltung seiner Persönlichkeit und als Raum der eigenverantwortlichen Betätigung gemäß Artikel 14 des Grundgesetzes geschützt ist. Diese Wertung bindet auch private Vermieter indirekt. Für Gemeinden als Träger der öffentlichen Gewalt, die gemäß Artikel 1 Abs. 3 des Grundgesetzes unmittelbar zur Wahrung der Grundrechte verpflichtet sind, gilt diese grundrechtlich geschützte Position des Mieters erst recht. Wenn die öffentliche Hand als Vermieter auftritt, ist das Recht des Mieters gemäß Artikel 14 des Grundgesetzes nicht gegen den Eigentumsschutz des Vermieters abzuwägen. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind juristische Personen des öffentlichen Rechts wie Gemeinden im Bereich der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben im Sinne von Artikel 19 Abs. 3 des Grundgesetzes grundsätzlich nicht grundrechtsfähig.

Hinsichtlich des Asylgrundrechts gemäß Artikel 16a des Grundgesetzes ist zu beachten, dass dieses den Staat zwar verpflichtet, aber nicht berechtigt. Es kann nur berücksichtigt werden, wenn es im Rahmen der Abwägung von Drittinteressen, insbesondere der betroffenen Asylbewerber, angemessen berücksichtigt werden kann. Derartige Drittinteressen können jedoch nur einbezogen werden, wenn sie aufgrund eines familiären, wirtschaftlichen oder rechtlichen Zusammenhangs ein eigenes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses begründen und der Dritte dem kommunalen Vermieter nahesteht. Bei Asylbewerbern, zu denen kein solches wirtschaftlich-familiäres Verhältnis besteht, ist dies in der Regel nicht der Fall. Daher ist auf Seiten des Mieters eine verfassungsrechtlich geschützte Position in die Abwägung einzubeziehen, während dies auf Seiten der vermietenden Gemeinde nicht der Fall ist.

Es darf bezweifelt werden, ob die Möglichkeit der anderweitigen Unterbringung, beispielsweise durch Anmietung von Ersatzwohnraum, wirklich außer Acht gelassen werden kann, wie es die Amtsgerichte Waldshut-Tiengen und Göttingen gesehen haben. Die Anmietung von Wohnraum stellt eine mildere Alternative dar, um die Unterbringung von Asylbewerbern zu erreichen, ohne das bestehende Mietverhältnis zu kündigen.

Es ist anerkannt, dass die Kommune vorrangig Wohnraum anmieten muss, bevor sie einen Nichtstörer nach dem allgemeinen Ordnungsrecht in Anspruch nimmt und Asylbewerber oder Obdachlose vorübergehend in Privatbesitz einweist. Diese Bewertung aus dem öffentlichen Recht muss auch im Zivilrecht gelten, um Wertungswidersprüche zu vermeiden.

Eine dauerhafte Maßnahme, wie die Kündigung nach § 573 BGB, die das Eigentumsrecht gemäß Artikel 14 des Grundgesetzes betrifft, kann nicht mit einem weniger strengen Maßstab bewertet werden als die vorübergehende Einweisung nach dem allgemeinen Ordnungsrecht, die ebenfalls in das Eigentumsrecht eingreift. In diesem Sinne hat das VG Lüneburg kürzlich festgestellt, dass vorrangig “jede andere angemessene Form der Unterbringung, die nicht in das durch Art. 14 GG geschützte Eigentumsrecht eingreift”, zu wählen ist.

Ferner muss berücksichtigt werden, wenn sich der Mieter als Privatperson, der Bestandsschutz genießt, vertragstreu handelt und für die Nutzung der Wohnung Miete bezahlt. Die Gemeinde wird also für den vorübergehenden Verlust der Nutzungsmöglichkeit entschädigt, und zwar zu einem Betrag, mit dem sie sich privatautonom einverstanden erklärt hat. Solange der Mieter die Miete zahlt und die Gemeinde anderweitig Wohnraum anmieten kann, wird es daher schwerlich ein “berechtigtes Interesse” an der Beendigung des bestehenden Mietverhältnisses geben. Wer die Kündigung für zulässig erachtet, wenn “für den zu kündigenden Mieter Ersatzraum zur Verfügung steht”, verkennt, dass es in einem solchen Fall in der Regel nicht erforderlich ist, das bestehende Mietverhältnis zu kündigen. Der Ersatzwohnraum kann mit dem Asylbewerber belegt werden, da er in zumindest vergleichbarer Weise geeignet ist.

Kündigungsfristen

Sollte das öffentlich-rechtliche Interesse an der Wohnraumkündigung überwiegen, sind die Fristen des § 573c BGB einzuhalten:

“Die Kündigung ist spätestens am dritten Werktag eines Kalendermonats zum Ablauf des übernächsten Monats zulässig. Die Kündigungsfrist für den Vermieter verlängert sich nach fünf und acht Jahren seit der Überlassung des Wohnraums um jeweils drei Monate.”

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