Automattic, Inc., die Betreiberin des Blogsystems WordPress, muss es unterlassen, verleumderische und ehrverletzende Inhalte, die Dritte über anonyme WordPress-Blogs veröffentlichen, zu verbreiten und zu veröffentlichen. Ein entsprechendes Urteil hat unsere Kanzlei vor dem Landgericht Heilbronn erstritten (LG Heilbronn, Urteil vom 10.02.2023, Az. Ri 1 O 151/22). Das Urteil reiht sich ein in entsprechende Gerichtsentscheidungen, die wir bereits in der Vergangenheit im Sinne unserer Mandanten erstreiten konnten. Hierüber hatten wir hier und hier berichtet.
Bloganbieter WordPress (Automattic, Inc.)
WordPress ist ein unter der Internetadresse wordpress.com erreichbares System der Firma Automattic, Inc. mit Sitz in San Francisco, mit dem Nutzer so genannte Weblogs, also übersichtliche, oft text- oder fotobasierte “Internettagebücher” in Form von Webseiten betreiben und dort beliebige Inhalte veröffentlichen können. Dabei werden die jeweiligen Blog-Homepages als Subdomains der Top-Level-Domain wordpress.com angelegt und vergeben (z.B. meinblog.wordpress.com). Sie erscheinen für Dritte als völlig eigenständige und unabhängige Webseiten. Während Automattic, Inc. die technische Infrastruktur zur Verfügung stellt, sind die jeweiligen Nutzer für die Inhalte verantwortlich.
Verleumderischer WordPress-Blog über den Kläger
Der Kläger in dem jetzt vom Landgericht Heilbronn entschiedenen Fall musste im Rahmen seiner unternehmerischen Marken- und Kennzeichenpflege feststellen, dass ein unbekannter Dritter über ihn unter einem Pseudonym einen WordPress-Blog mit verleumderischen, beleidigenden und unwahren Inhalten veröffentlicht hatte.
Unter anderem wurde behauptet, der Beschwerdeführer nehme im Rahmen seiner unternehmerischen Tätigkeit “Schwarzgeld” an, “halte gerne die Hand auf” und habe “eine Vorliebe für Bargeld entwickelt”. Zudem mache er “Kasse auf Kosten der Allgemeinheit” und könne sich dadurch einen gewissen Lebensstil und u.a. teure Kraftfahrzeuge leisten. Unterstützt werde er dabei unter anderem von einigen namentlich genannten “Duz-Freunden”, die ebenfalls Steuern hinterziehen würden.
Der Artikel, der hier aus Gründen des Persönlichkeitsrechtsschutzes nicht im genauen Wortlaut wiedergegeben wird, war insgesamt so gestaltet und aufgemacht, dass der Kläger – zu Unrecht – als Steuersünder, Krimineller und Sozialschmarotzer dargestellt und in einer Mischung aus unwahren Tatsachenbehauptungen und Schmähkritik an den öffentlichen Pranger gestellt wurde.
Der verleumderische WordPress-Blog war dabei so optimiert, dass er bei entsprechenden Suchmaschinenanfragen nach dem Namen des Klägers gefunden und innerhalb der Trefferlisten jedenfalls auf der ersten Seite angezeigt wurde.
Kläger geht gegen WordPress-Verleumdung vor
Als u.a. auf Onlinereputation spezialisierte Rechtsanwaltskanzlei, die bereits in der Vergangenheit gerichtliche Erfolge gegen Verleumdungen und Beleidigungen bei WordPress erzielen konnte, beauftragte uns der Kläger, gegen den diffamierenden Blog vorzugehen.
Im Namen des Beschwerdeführers haben wir uns daher zunächst mit einem Abmahnschreiben an Automattic, Inc. bzw. WordPress gewandt und auf die Persönlichkeitsrechtsverletzungen hingewiesen. Nachdem die von uns gesetzte Löschungsfrist fruchtlos verstrichen war, haben wir Automattic, Inc. förmlich abgemahnt. Wir wiesen darauf hin, dass der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt “Schwarzgeld” angenommen habe und gegen ihn auch nie wegen Steuerdelikten ermittelt worden sei. Ein – vorgelegter – Auszug aus dem Bundeszentralregister weist keine Eintragungen auf.
Die außergerichtlichen Bemühungen blieben erwartungsgemäß erfolglos. WordPress berief sich auf die Meinungsfreiheit und wies darauf hin, dass die Begründung des Löschungsantrags unzureichend und die Behauptungen im Blog nicht rechtswidrig seien. Im Übrigen habe Automattic, Inc. keinen Einfluss auf die über das Blogsystem eingestellten Inhalte; eine inhaltliche Überprüfung finde nicht statt. Es sei auch davon auszugehen, dass in dem streitgegenständlichen Blog nicht der Kläger, sondern eine andere, dritte Person gemeint gewesen sei. Zudem seien die Äußerungen von Meinen und Dafürhalten geprägt und genössen daher als Meinung den Schutz des Grundgesetzes.
Wir haben daher im Auftrag des Klägers gegen WordPress bzw. Automattic, Inc. auf Unterlassung der Behauptungen geklagt.
Beleidigung über WordPress – die Entscheidung des LG Heilbronn
Das Landgericht Heilbronn ist in seinem Urteil (Az. Ri 1 O 151/22) unserer Argumentation gefolgt. Es hat Automattic, Inc. verurteilt, es bei Meidung von Ordnungsgeld oder am CEO der Beklagten zu vollstreckender Ordnungshaft zu unterlassen, innerhalb bestimmter Subdomains des WordPress-Blogsystems zu behaupten, der Kläger habe Bezug zu Schwarzgeld und damit zu unterstellen, er nehme Geld an, ohne es zu versteuern. WordPress muss außerdem Abmahnkosten zahlen.
Zur Begründung führt das Gericht im Wesentlichen aus:
Die internationale und örtliche Zuständigkeit sei gegeben. Denn der Kläger habe seinen Unternehmenssitz im Bezirk des angerufenen Gerichts. Dort sei auch der streitgegenständliche WordPress-Blog online abrufbar. Es bestehe daher die Möglichkeit, dass es in Heilbronn zu einer Interessenkollision zwischen der Wahrung des Persönlichkeitsrechts des Klägers einerseits und den Rechten der Beklagten als Host-Provider andererseits gekommen sei. Denn die Kenntnisnahme des Blogbeitrags liege im Gerichtsbezirk Heilbronn wegen des örtlichen Bezugs des Klägers näher als anderswo (vgl. BGH, Urteil vom 02.03.2010, Az. VI ZR 23/09).
Die zulässige Klage sei auch begründet. Denn dem Kläger stehe gegen WordPress bzw. Automattic, Inc. ein Unterlassungsanspruch aus §§ 823 Abs. 1, 1004, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG zu.
Die Beklagte hafte unter dem Gesichtspunkt der mittelbaren Störerhaftung.
Grundsätzlich sei mittelbarer Störer, wer, ohne Täter, Teilnehmer oder unmittelbarer Störer zu sein, in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines Rechtsguts beitrage. Der Umfang der sich daraus ergebenden Verpflichtung bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als mittelbaren Störer in Anspruch Genommenen nach den Umständen des Einzelfalls eine Verhinderung der Rechtsverletzung zumutbar ist.
In Anwendung dieser Grundsätze sei ein Host-Provider zwar grundsätzlich nicht verpflichtet, die von seinen Nutzern bzw. Kunden eingestellten Inhalte zu überprüfen, da andernfalls die Ausübung dieses – gesellschaftlich erwünschten – Geschäftsmodells nicht mehr sinnvoll möglich wäre.
Wird der Hostprovider jedoch – wie im vorliegenden Fall – auf eine konkrete Rechtsverletzung hingewiesen, kann sich hieraus nach entsprechender begründeter Abwägung eine Pflicht zur Verhinderung künftiger Beeinträchtigungen ergeben.
Im Rahmen von behaupteten Persönlichkeitsrechtsverletzungen, deren Bejahung stets eine vorherige Abwägung erfordere, müsse der Vortrag des Betroffenen so konkret und detailliert sein, dass dem Hostprovider eine Bewertung ohne weiteres möglich sei. Dieser müsse dann gegebenenfalls eigene Ermittlungen anstellen und gegebenenfalls eine Stellungnahme des Verfassers des Artikels einholen.
Dazu sei WordPress im vorliegenden Fall verpflichtet gewesen. Denn der Kläger habe seine Rechtsposition hinreichend konkret und substantiiert dargelegt und sogar ein polizeiliches Führungszeugnis vorgelegt. Mehr könne von der Beklagten nicht verlangt werden, da es sie überfordern und die gesetzgeberische Wertung auf den Kopf stellen würde, wenn sie die Unwahrheit der beanstandeten Behauptungen beweisen müsste.
Bei der vom Beklagten vorzunehmenden Abwägung sei zu berücksichtigen, ob es sich bei den Äußerungen um Meinungen oder Tatsachenbehauptungen handele. Während Meinungen durch Abwägung und Überlegung sowie die innere Auseinandersetzung des Meinenden geprägt seien und grundsätzlich den Schutz des Grundgesetzes genössen, seien Tatsachenbehauptungen dem Beweis zugänglich und könnten mit empirischen Mitteln bestätigt oder widerlegt werden. Grundsätzlich unzulässig sind unwahre Tatsachenbehauptungen.
Die Behauptung, der Kläger mache Schwarzgeld, sei eine solche unwahre Tatsachenbehauptung. Dies habe die Beklagte nach dem Vortrag des Klägers ohne weiteres erkennen können. Die wenigen abwägenden Formulierungen in dem WordPress-Blog führten nicht dazu, dass der Artikel insgesamt einen Meinungscharakter erhalte. Selbst wenn man von einem überwiegenden Meinungscharakter mit lediglich einem Tatsachenkern ausginge, verlasse eine Äußerung den verfassungsrechtlichen Schutzbereich, wenn sie die Grenze zur Schmähkritik überschreite, also nicht mehr eine (wenn auch überspitzte und harsche) Auseinandersetzung mit der Sache erkennen lasse, sondern den Betroffenen ausschließlich herabwürdige und gleichsam an den Pranger stelle.
Der sich daraus ergebenden Prüfpflicht sei die Beklagte nicht nachgekommen. Sie könne sich nach dem umfangreichen Vortrag des Klägers nicht darauf zurückziehen, diesen zu bestreiten. Vielmehr treffe WordPress eine sekundäre Darlegungslast, der sie nicht nachgekommen sei.
Es entschuldige die Beklagte auch nicht, dass sie aufgrund der Ausgestaltung ihres Geschäftsmodells den tatsächlichen Verfasser des Artikels möglicherweise nicht kenne. In diesem Fall bliebe ihr von vornherein nur die Löschung des Blogs.
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